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Alles nicht so einfach

Mitte 30, männlich und noch Jungfrau

Wie es ist, wenn der Gedanke an Sex nur Druck und Scham auslöst.

Von Katja Lewina

Maennlich, erwachsen und immer noch Jungfrau Illustration: Federico Delfrati

Meine Freundin Marlene, Ende 20, war schwer verliebt. Darum machte es ihr nicht viel aus, dass der attraktive, witzige und erfolgreiche Mittdreißiger – nennen wir ihn mal Mr. Jackpot (alle Namen in diesem Text sind geändert) – ihr nicht so richtig auf die Pelle rücken wollte. „Er ist halt nicht der Typ, der einen ständig angrapscht“, erzählte sie. „Und seine letzte Beziehung ist halt ein paar Jahre her. Ist doch klar, dass er erst mal Berührungsschwierigkeiten hat. Das wird schon noch!“

Es wurde tatsächlich: Ein paar Abende später besuchte er sie in ihrer Wohnung. Zusammen mit einer Flasche Gin und eindeutigen Absichten. „Gleich ist es soweit!“, schrieb Marlene mir, als er im Bad verschwand. „Ich bin soooo aufgeregt!“

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Aber als ich Marlene am nächsten Morgen zum Frühstück traf, platzte es, kaum hatte ich mich gesetzt, aus ihr raus: „Das war der schrecklichste Sex meines Lebens!“ Ungelenk sei er gewesen und speichellastig. Eine halbe Stunde Penetration in Missionarsstellung. Ohne Anfassen, dafür mit pornoesken Ausrufen à la „Komm, ich besorg’s dir so richtig.“

Nichts gehört zum Erwachsensein mehr als Sex. All die anderen Beweise für Reife können dagegen einpacken

„Er hatte keine Ahnung, was er da tat. Was ja kein Drama gewesen wäre, wenn er nicht so krampfig versucht hätte, zu performen.“ Als es irgendwann anfing wehzutun, wälzte Marlene ihn endlich von sich runter. Und fragte, was das gewesen sei. Und fragte nochmal. Und nochmal. Bis er endlich zugab: sein erstes Mal. Mit 35.

Nichts gehört zum Erwachsensein mehr als Sex. All die anderen Beweise für Reife können dagegen einpacken. Führerschein? Brauchst du nicht, wenn du in der Großstadt lebst. Alkohol? Mag nicht jeder. Eigene Kohle verdienen? Ist in Ausbildung oder Studium oft nicht drin. Aber Sex? SEX? Hatten wir doch alle schon. Und haben ihn, zumindest gelegentlich. Jedenfalls erwarten wir das von jedem, der nicht in einer Eremiten-Höhle lebt.

Doch eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2015 sagt etwas anderes: Immerhin 11 Prozent der 21-Jährigen und 7 Prozent der 25-Jährigen sind noch Jungfrau.

Während weibliche Keuschheit in unserer Kultur immer noch von einigen hochgehalten wird und Frauen ihre Jungfräulichkeit seltsamerweise immer noch als etwas Besonderes auslegen können, gilt für Männer in diesem Alter und darüber hinaus das genaue Gegenteil: Wer keinen Sex hat, bekommt es halt nicht hin mit den Frauen – ergo: ist ein Freak. Ein Versager.

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Sehr wahrscheinlich ist genau das der Grund dafür, warum Mr. Jackpot sich im Vorfeld über seine Unberührtheit ausgeschwiegen hat – und sie auch hinterher mit keinem Sterbenswörtchen von sich aus erwähnt hätte.

Wäre es tatsächlich so schlimm gewesen? „Wäre es, es ist das totale Stigma. Ein Abgrund der Scham“ „, sagt Christoph. Ihn eint mit Mr. Jackpot nicht nur seine verhältnismäßig lang andauernde Jungfräulichkeit, sondern auch die Tatsache, dass man sie nie vermutet hätte bei ihmn. Auch er ist gutaussehend und intelligent. Höchstens ein klein wenig schüchtern. Es war nicht leicht, Christoph zu einem Gespräch zu überreden. Anonym muss das Ganze sein, das ist ihm wichtig.

Christoph ist 24 und hatte durchaus Gelegenheiten – nur eben nie mit den Frauen, auf die er stand. Also verzichtete er. Bis er mit 20 merkte: Er verliert den Anschluss. Alle seine Freunde hatten inzwischen längst feste Freundinnen oder zumindest ab und zu irgendwas am Laufen. Während er sich selbst noch immer zu Manga-Mädchen selbst befriedigte. Um nicht als der letzte Loser dazustehen, machte er einen auf geheimnisvoll, „als würde ich genießen und schweigen“, sagt er, um peinlichen Fragen aus dem Weg zu gehen.

„Je älter ich werde, desto mehr haben mir die anderen Typen was voraus.“

Mit 21 hatte er sie endlich: die erste Freundin! Aber alles lief anders als erwartet: „Sie fand, ich sei zu unerfahren und könne nicht so gut küssen wie andere Typen. Und als sie mir dann einen blasen wollte, bekam ich vor lauter Nervosität keinen hoch. Klar, dass das nicht lang gehalten hat.“

Seitdem wird der Druck immer größer. „Je älter ich werde, desto mehr haben mir die anderen Typen was voraus. Die Frauen haben den Vergleich. Und ihre Ansprüche werden größer. Wenn ich mich jetzt mit 25 im Bett so ungeschickt anstelle wie ein 16-Jähriger, dann bringe ich es einfach nicht. Welche normale Frau in meinem Alter will bitte mit einem 16-Jährigen schlafen?“

Manchmal überlegt Christoph, zu einer Prostituierten zu gehen, „einfach, um es mal gemacht zu haben und mir bei der nächsten Gelegenheit nicht so in die Hosen zu scheißen, weil ich versagen könnte.“ Aber die Schwelle ist dann doch zu hoch. Schließlich ist das ein ganz besonderer Moment. Und den will er mit jemand ganz Besonderem erleben.

Aber je länger dieser Moment auf sich warten lässt, desto schwieriger wird es. Und obwohl Christoph sich sicher ist, dass er selbst alle Karten auf den Tisch legen würde, kann er Mr. Jackpots Schweigen verstehen: „Ein Mann muss erfahren sein. Ein Mann weiß, was er tut. Das sind Rollenklischees, ich weiß, aber so sind wir nun mal gestrickt. Und wenn du diesem Bild nicht entsprichst, dann Kopf in den Sand und: hoffentlich merkt’s keiner.“

Es sind nicht nur die Ansprüche der anderen, denen er nicht gerecht wird: „Irgendwann fragst du dich selbst: Was stimmt nicht mit mir? Bei allen anderen läuft es doch auch. Bin ich tatsächlich ein Freak?“

Dabei hat Christoph in dieser Hinsicht einfach ein wenig mehr Pech gehabt als wir anderen. Das ist alles. Ich kenne keine Frau, die einen unerfahrenen Mann per se ausschließen würde – ich habe sie alle gefragt. Selbst Marlene ist sich sicher: An seiner Jungfräulichkeit lag es nicht, dass es nicht mit Mr. Jackpot geklappt hat. Sondern daran, dass er versucht hatte, etwas zu überspielen, das nicht zu überspielen war. Sie ist sicher: Hätte er nicht Erfahrung vortäuschen wollen, die er nicht hatte, hätten sie dieses eine Mal als das zelebrieren können, was es im Grunde war: ein besonderer, einmaliger Moment. Und den hätten sie beide sicher genossen

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