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Submission

Es war heiß in der Disco. Heiß und stickig.
Das Rauchverbot in Diskotheken schien hier niemanden zu interessieren. Nicht einmal die Betreiber. Keine Hinweissc***der. Fast jeder Besucher hatte eine Zigarette in der Hand. Niemand versuchte, etwas dagegen zu unternehmen.
Es war heiß, stickig und voll. Viel zu voll. Maßen junger Leute, viele von ihnen sicherlich noch nicht alt genug für die Getränke in ihren Händen.
Aber auch das interessierte niemanden. Am allerwenigsten die Barkeeper, die hinter den strategisch verteilten Tresen Bier, Mixgetränke und puren Alkohol wie am Fließband ausschenkten.

‚Vermutlich hat der Laden sowieso keine Genehmigung‘, dachte sich Anna, während sie versuchte, all den glühenden Zigaretten und unachtsam schwenkenden Ellenbogen auszuweichen. ‚Das ist wirklich ein Loch.‘

Ein Loch in einem Keller unter einem alten Lagerhaus am Rand des Industriegebietes. Ein Geheimtipp, für den sich die gerade 21-jährige Anna niemals interessiert hätte. Heavy Metall, in Leder, Lack und Latex gekleidete Menschen und ohne Zweifel auch Drogen schienen die Essenz dieser Absteige zu sein.
Für die Studentin waren es vor allem die Menschenmassen, die all das unerträglich machten. Drogen sollte gerne jeder nehmen, dem danach war und zu Hause hätte sie vielleicht sogar die Musik ertragen, aber es war so unglaublich voll hier.
Anna litt nicht unter Klaustrophobie, aber vielleicht unter einer milden Demophobie, der Angst vor Menschenmengen. Sie mochte es überschaubar und ein wenig geräumiger. Beides war in der Disko mit dem bezeichnenden Namen The Hole eindeutig nicht zu finden.

Am Schlimmsten war jedoch, dass sie ganz und gar nicht freiwillig hier war.
Sie war weder von selbst auf die Schnapsidee gekommen, noch hatte eine Freundin sie überredet, diesen Ort aufzusuchen.
Anna war schon manches Mal rückwärts aus einer Kneipe oder Disko wieder hinausgestolpert, die eine ihrer Freundinnen unbedingt einmal hatte von innen sehen wollen. Aber selbst an ihren verrücktesten Tagen wäre keine von ihnen auf die Idee gekommen, sich diesem Loch auch nur zu nähern.
Anständige Menschen, wozu sich die Literaturstudentin durchaus zählte, wären vermutlich nicht einmal eingelassen worden. Denn so unglaublich das auch klingen mochte – The Hole hatte beinahe mehr Türsteher als eine normale Diskothek. Zumindest vermittelten die finsteren Typen an der Tür den Eindruck von Türstehern.

Dass niemand Anna aufgehalten hatte, lag daran, dass sie gezwungenermaßen optisch durchaus hierher passte, auch wenn sie sich sichtlich unwohl fühlte.
Doch die Gemütszustände einzelner Gäste schienen hier niemanden zu interessieren. Ob man sich in einer Ecke übergab, völlig besinnungslos auf einem der wenigen Tische lag oder sich mit großen Augen, wie ein frisch geficktes Reh umsah, schien völlig bedeutungslos für die anderen Gäste.

Einer Panikattacke nah, die heute Abend nicht die Erste gewesen wäre, kämpfte sich Anna mühsam durch die Menge, die durchschnittlich einen halben Kopf größer war als sie. Und das, obwohl sie bereits hochhakige Schuhe trug.
Sie brauchte eine Pause. Einen Augenblick, um Atem zu schöpfen. Und zu ihrem Glück löste sich just in diesem Moment ein Pärchen aus einer dunklen Ecke. Der Mann ging voraus und hielt die Hand der Person, mit der er noch gerade eben wild herumgeknutscht hatte. Ein zweiter Mann.
Beinahe wäre Anna perplex stehen geblieben. Erst als sie im letzten Moment erkannte, wie schnell die Ecke wieder besetzt sein würde, riss sich zusammen und zwängte sich hinein.
Nicht dass sie ein Problem mit Schwulen gehabt hätte, aber der zweite Mann hatte Frauenkleidung getragen, als täte er das jeden Tag. Er war auf seinen unglaublichen Stilettos sogar weitaus sicherer gelaufen, als sie mit geschätzten zwanzig Zentimetern weniger Absatz unter der Ferse.
Nein. Auffallen würde sie hier gewiss nicht. Aber für sie selbst war ihr Aufzug noch immer kaum zu ertragen.

Normalerweise liebte Anna bequeme Schuhe, weite Oberteile und praktische Hosen. Mit Taschen.
Nicht, dass sie sich nicht hätte sexy zurecht machen können. Aber selbst dann überwog der praktische Gesichtspunkt meist. Jeans anstelle von Röcken. Und bloß nicht so eng, dass man kaum atmen konnte. Vielleicht ein bauchfreies Shirt. Aber ganz bestimmt wäre sie nie von selbst auf die Idee gekommen sich in ein Kleid aus filigranen Kettengliedern zu zwängen, das bei genauerer Betrachtung praktisch nur aus Öffnungen bestand.
Sie hätte keinesfalls Schuhe ausgewählt, die im Grunde nur aus wenigen, glitzernden Riemchen bestanden, aber einen viel zu hohen Absatz aufwiesen. Und was sie ganz besonders eindeutig niemals auch nur ansatzweise in Erwägung gezogen hätte, war der Verzicht auf Unterwäsche.

Erneut, zum x-ten Mal an diesem Abend, stieg ihr die Röte ins Gesicht, als sie an den Taxifahrer dachte, der sie hierher gebracht hatte.
Ihre WG hatte sie unbemerkt verlassen können und auch im Treppenhaus war sie allen Begegnungen ausgewichen. Unbemerkt von den wenigen Passanten des Abends war sie in das Taxi geschlüpft. Aber dort war es unmöglich gewesen, sich zu verbergen.
Der übergewichtige, ungepflegte Taxifahrer hatte einen Blick in den Rückspiegel geworfen und sofort Stielaugen bekommen. Er hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht auch nur vorzugeben, dass er ihr ins Gesicht sehen würde. Sein Blick lag sofort auf ihren Brüsten.
„Na welches Jagdrevier soll’s denn sein?“, hatte er versucht zu scherzen.
Hin- und hergerissen zwischen Scham und Empörung hatte Anna nur mühsam die Adresse der Disko herauspressen können.
Und dabei hatte der unsympathische Typ die ganze Zeit auf ihre Brust geglotzt. Das Kleid war ungewohnt, und wenn auch nicht mehr so kalt wie zu Anfang, so reizte es ihre Brustwarzen doch dauerhaft. Manchmal fast unerträglich, aber in jedem Fall ausreichend, damit die vermaledeiten Dinger sich aufstellten.
Und die Maschen des Kleides waren gerade groß genug, dass sie sich beinahe durchdrücken konnten.
Alles in allem nicht der Anblick, den Anna irgendwem gerne gestattet hätte. Nicht einmal ihrem Freund hätte sie sich so schamlos präsentiert.
Aber trotzdem saß sie in einem Taxi, starrte aus dem Fenster und ließ sich von einem hässlichen, alten Sack begaffen. Mit hochrotem Kopf hoffte sie darauf, dass die Fahrt schnell vorbei sein würde.

Am Zielort hatte der Mann dann lapidar verkündet: „Wir sind da.“
Ein Blick in die Runde hatte genügt um Anna beinahe rufen zu lassen: ‚Bitte nicht!‘ Allein die schrägen Gestalten am Eingang des The Hole ließen ihr bereits die Haare zu Berge stehen.
„Macht dann zwanzig.“
Wortlos hatte sie den Zwanziger und den Zehner nach vorne gereicht, die sie schon die ganze Zeit in der Hand hielt. Das Einzige, was sie angewiesen worden war mitzunehmen. Das Geld für die Hinfahrt.
Steif stieg sie aus dem Wagen und versuchte dabei erfolglos so wenig wie möglich von ihren langen Beinen zu enthüllen. Zwecklos. Sie war sowieso fast unverhüllt, aber sie konnte sich einfach nicht damit abfinden.
Noch schlimmer war jedoch, was sie nun zu tun angewiesen worden war.
Mit zittrigen Beinen umrundete sie das Taxi und trat zum Fahrerfenster. Dem irritierten Fahrer bedeutete sie lahm, das Fenster runter zu lassen.
„Noch was vergessen, Süße?“
‚Fick dich, Fettsack!‘, wollte sie schreien, aber stattdessen konnte sie kaum fehlerfrei ein „Ja“ herauspressen.
„Ich … hab noch … was für sie“, wiederholte sie stockend und fast krächzend den Text, der ihr aufgetragen worden war.
Der Mann blickte sie nur verständnislos an.
Mit knallrotem Gesicht drehte sich Anna um und bemerkte das wachsende Interesse der Türsteher an den Geschehnissen und vor allem an ihr. Sie stand beinahe direkt unter einer Straßenlaterne und wollte sich gar nicht ausmalen, wie überdeutlich all ihre Geheimnisse selbst aus der Entfernung sichtbar sein mochten.
Es kostete sie unglaubliche Überwindung sich mit dem Po so tief zum Fenster zu bücken, dass der Taxifahrer einen unverstellten Blick auf ihre nackte Kehrseite hatte. Und beinahe ebenso viel, mit der Hand an ihre Schamlippen zu fassen, sie mit zwei Fingern leicht zu spreizen und mit dem Mittelfinger auch nur oberflächlich dazwischen hindurch zu fahren.
Der schmuddelige Typ hatte alles genau beobachtet und starrte sie mit offenem Mund und glasigen Augen an, als sie sich umdrehte. Er war so gebannt, dass er nicht einmal vor ihrer Hand zurückzuckte, die sich seinem Gesicht näherte. Ihr Magen zog sich vor Scham zusammen, doch ihre Augen fingen zum Glück nicht an zu brennen. Sie würde das durchstehen, sagte sie sich stolz.
Angewidert starrte Anna auf einen Speichelfaden, der sich in einem seiner Mundwinkel bildete, während sie ihren Anweisungen folgend den Mittelfinger unter seiner Nase abwischte.
Die angeordnete Kusshand brachte sie nicht zustande und auch ihre Verabschiedung verunglückte ein wenig. Anstelle ihres Textes piepste sie nur „Erinnerung an mich …“ und drehte sich schnell um.

Der Taxifahrer sog hörbar die Luft ein, schniefte und raunte dann beinahe ehrfürchtig: „Gott! Was für eine geile Schlampe.“
Anna beeilte sich sehr zum Eingang zu gelangen und wagte nicht auch nur zu einem der Männer in Türnähe aufzublicken. Ihr Gang war dabei nicht nur wegen der ungewohnten Schuhe leicht schwankend, sondern auch wegen der Scham und einer Entdeckung, die sie zutiefst erschütterte: Ihr Finger war eindeutig feucht gewesen.

Und nun stand sie inmitten der Disko in einer dunklen Ecke und versuchte zu Atem zu kommen.
Die gesamte Situation war völlig surreal. In ihren Fantasien, in den erotischen Geschichten, die sie heimlich schrieb und im Internet veröffentlichte, hätte ihr selbst so eine Szene einfallen können.
Nein. Ehrlicher war, dass sie sich tatsächlich so eine Situation schon einmal ausgedacht hatte. Und ihr Erpresser hatte das gewusst. Natürlich. Er hatte gekonnt genau so eine Situation erzeugt. Sie mit einer ihrer Fantasien konfrontiert.
In der Realität war daran nichts mehr erotisch. Aber warum war sie dann feucht geworden?
Warum waren ihr beinahe die Beine eingeknickt, als der Taxifahrer sie Schlampe genannt hatte? Warum hatte es sich angefühlt, als habe die Feuchtigkeit noch zugenommen?
Das war pervers. Abartig. Sie war eigentlich völlig normal und erträumte sich nur ein wenig Abwechslung für ihr wenig aufregendes Sexleben.
Nicht mehr. Oder?
Nein. Nicht mehr. Punkt.

Es war ihr Erpresser. Der Mann, von dem sie kaum etwas wusste. Und doch so viel. Es war allein seine Schuld.
Er nannte sich Dingo. Das war natürlich nicht sein richtiger Name, sondern der Name eines Wildhundes. Aber so war das im Internet. Man lernte sich unter Pseudonymen kennen.
Dingo hatte ihre Geschichten online gelesen und ihr begeisterte Kritiken geschrieben. In jeder dieser Kritiken hatte er sachte Dinge thematisiert, die er aus den Geschichten herausgelesen zu haben glaubte. Und jedes Mal hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.
Sie versuchte, Abwechslung in ihre Geschichten zu bringen. Deswegen baute sie die Story immer wieder neu zusammen. Aber es steckten auch immer ein paar ihrer persönlichen Träume darin. Und ein wenig Persönlichkeit von ihr in ihren Charakteren.
Mit furchteinflößender Treffsicherheit hatte Dingo immer exakt den virtuellen Finger auf diese kleinen Brocken von ihr gelegt. Sie hatte es bald nicht mehr ausgehalten und ihm geantwortet. Und damit hatte ein Strudel sie ergriffen.
Dingo und Anna, die sich im Internet aus einer Laune heraus Mohnblume nannte, hatten sich Mail um Mail geschrieben. Gefangen in einer gegenseitigen Faszination, die Anna als unglaublich berauschend empfunden hatte. Er hatte sie inspiriert, mit ihr über ihre Träume gesprochen, ihre Geschichten verschlungen und sich ihr offenbart. Zumindest zu einem gewissen Teil.
Sie hatten in einander verwandte Geister gefunden. Beide unzufrieden mit ihrem Leben. Beide gefangen in Beziehungen, die sie nicht erfüllten. Beide voller Träume und Fantasien.
Und sie hatten sich blind verstanden. Anna musste manchmal nur einen Halbsatz lesen, um zu wissen, was er sagen wollte. Ihm ginge es ebenso, hatte er behauptet.
Schon bald wusste er mehr von ihr als ihre Eltern, ihr Freund und ihre beste Freundin zusammen. Und ihr Verhältnis wurde unglaublich intim.

Sie betrog ihren Freund mit diesem virtuellen Mann auf sehr viel schrecklichere Weise, als es ein einfacher Seitensprung hätte vollbringen können. Sie schwelgte mit ihm in sexuellen Fantasien, in verheimlichten Emotionen.
Und dann, in einem schwachen Moment, als sie beinahe bereit war ihm zu glauben, dass es zwischen ihnen zu mehr kommen könnte, egal wie unwahrscheinlich das bei einer solchen Bekanntschaft sein mochte, hatte sie ihm Bilder von sich geschickt.
Natürlich hatten sie zuvor schon Bilder ausgetauscht. Passbilder, Schnappschüsse. Doch was sie ihm an jenem Abend schickte, war eigentlich für ihren Freund bestimmt gewesen. Aktbilder. Aufgenommen von einer professionellen Fotografin. Schamlose Bilder. Bilder, die mehr ihrem tief verborgenen, verdorbenen Ich entsprachen als dem sorgsam kultivierten Bild, dass sie in der Öffentlichkeit zur Schau trug.
Ihre Eltern hätten sie wegen solcher Schweinereien verstoßen, ihr Freund sie verlassen, ihre Freunde sich von ihr abgewandt. Das hatte sie ihm eröffnet. Und er hatte sie nicht enttäuscht, sondern ihr gesagt, dass er die Bilder liebe.
Er forderte sie auf damit aufzuhören, immer allen alles recht machen zu wollen. Sich ihren Eltern zu stellen und ihnen zu sagen, dass sie sich ihre verklemmte Moral sonst wo hinstecken konnten. Ihrem verklemmten Freund den Laufpass zu geben, ihre eifersüchtigen Freundinnen zu vergessen. Und er hatte sie aufgefordert, sich mit ihm zu treffen.
Sie hatte zugestimmt.

Am Tag der Begegnung wäre sie vor Aufregung beinahe aus der Haut gefahren. Sie hatte natürlich ihren Eltern nicht die Meinung gesagt, ihren Freund nicht abgeschossen und ihre Freundinnen nicht vor den Kopf gestoßen. Sie wollte auf Nummer sicher gehen und erst sehen, ob er wirklich so war, wie sie ihn sich erträumte.
Viel zu früh war sie am Treffpunkt angelangt und hatte gewartet. Und auch er war viel zu früh erschienen. Er hatte ausgesehen wie auf seinen Fotos. Nein, besser. Er schien zu glühen vor Aufregung und seine Augen strahlten.
Doch Anna konnte sich ihm nicht zeigen. Sie wusste, wenn sie voreinander stünden, dann wäre es um sie geschehen. Er würde sie mit diesem Blick fesseln und sie würde mit ihm bis ans Ende der Welt gehen. Sie würde so glücklich sein wie nie zuvor in ihrem Leben.
Sie konnte nicht.
Es war zu viel. Es würde nicht gut gehen. Es konnte nicht real sein.
Er würde sie zurückweisen. Oder anders verletzen. Oder es würde gut gehen, aber dann würde er eine andere finden. Oder sie würde sich verlieren, wenn sie sich auf ihn einließe.
Sie konnte nicht.

Sie ging.
Ließ ihn einfach stehen und warten und lief davon.
Er versuchte sie anzurufen, aber sie nahm nicht ab. Er schrieb ihr Mails. Unzählige Mails, aber sie antwortete ihm nicht.
Dann hörte es auf und Anna weinte nicht mehr jeden Abend. Sie lief nicht mehr mit rot geäderten Augen herum und ihr Freund verzieh ihr natürlich ihre Phase der Aufgewühltheit. Ihre Freundinnen waren nicht nachtragend, dass sie ihnen wochenlang keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte und ihre Eltern waren froh, dass ihr Spätzchen wieder wohlauf war.
Ein neues Handy, eine neue Telefonnummer und eine neue Mailadresse ermöglichten ihr einen klaren Neuanfang. Und dabei hatte sie doch nur ihr altes Leben wieder zurück. Ihr altes, vertrautes, langweiliges Leben.
Sicherheit.
Sie weinte nicht mehr oft. Hatte es hinter sich. Schaffte es, den Teil von ihr in sich zu verschließen, der aufschrie, und nicht mehr aufhören wollte zu klagen.
Keine Erotik-Geschichten mehr. Keine schmutzigen Fantasien mehr. Sie ging sogar zur Beichte und holte sich Absolution für ihre Sünden von einem Pfarrer, der sie fast nicht abwertend ansah.
Alles war wieder in Ordnung.

Zwei Monate später bekam sie eine einzige Mail. Auf ihren Mailaccount an der Uni.
Der Absender war nichtssagend und der Inhalt bestand nur aus einer einzigen Zeile Text:
‚Wenn es wirklich enden soll, reicht ein einziges Wort von dir: Stopp!‘

Eine Zeile Text. Ein einziges Wort nur. Aber sie konnte nicht antworten.
Sie sollte es ihm schreiben. Sollte es für immer beenden, aber stattdessen löschte sie die Mail. Als wäre sie nie da gewesen.

Weitere zehn Monate vergingen. Sie konnte Dingo nicht vergessen. Konnte das Bild von ihm auf dem Platz vor dem Café nicht vergessen. Seine strahlenden Augen, die für einen Sekundenbruchteil ihren heimlichen Blick gekreuzt hatten.
Aber sie lebte weiter. Gab dem Drängen ihres Freundes nach und verlobte sich mit ihm. Präsentierte ihren Eltern ihren zukünftigen Ehemann und plante mit ihren Freundinnen ihre Hochzeit. Ohne dabei etwas anderes zu fühlen als Abscheu.
Ihre beste Freundin war die Einzige, die sich nicht für ihr privates Glück freute. Sie drohte ihr sogar an, die Freundschaft aufzukündigen.

„Ich war immer dagegen, dass du dich auf diese Internettypen so sehr einlässt, Anna“, sagte sie ihr bei ihrem letzten Telefonat. „Aber du hast nicht auf mich gehört. Du musstest es auf die Spitze treiben, und wenn ich dich jemals wirklich glücklich gesehen habe seit unseren Ferien auf dem Bauernhof, weit, weit weg von deinen Eltern, dann kurz, bevor du dich mit ihm treffen wolltest. Und wenn du jetzt von mir erwartest, dass ich die Trauzeugin spiele, während du die ganze Welt belügst, dann hast du dich geschnitten. Das kannst du vergessen.
Warum hast du nicht einfach eine Nacht mit dem Freak verbracht? Dann wäre der Zauber weg gewesen und gut. Aber so jagst du doch jetzt für den Rest deines Lebens einem Traum nach.
Mensch Anna hast du in der letzten Zeit mal in den Spiegel gesehen? Deine Augen sind tot!“

Verenas Monolog war noch länger gewesen, aber Anna hatte ihr nicht antworten können. Tränen waren ihr über die Wangen gelaufen und sie hatte kein Wort herausbekommen.
Erst ganz am Schluss schaffte sie es tonlos hervor zu quetschen: „Du irrst dich. Ich bin glücklich.“

„Ach ja?“, hatte Verena daraufhin fast geschrien. „Wenn du dir das wirklich einreden willst, ist für mich kein Platz mehr in deinem Leben. Ruf wieder an, wenn du ehrlich drüber reden willst.“

Dann hatte sie aufgelegt und Anna hatte nicht zurückgerufen.
Das war nun zwei Monate her und seitdem wusste Anna, dass sie nun zu Recht und verdient allein war.

Und dann war Anfang der Woche diese Mail gekommen.
Eine Mail ohne sinnvollen Absender mit einem Bild darin. Und mit einer Frage.
Das Bild zeigte sie, Anna, wie sie auf einem Podest saß und schamlos die Beine breitmachte. Eine Hand spreizte ihre Schamlippen, die andere reckte eine ihrer Brüste in die Kamera und ihr Gesichtsausdruck war so lasziv, wie sie es bei ihrer damaligen Fotosession eben hinbekommen hatte.
Die Frage lautete: ‚Willst du, dass deine Eltern, deine Freundinnen, deine Kommilitonen und dein Verlobter das sehen?‘

Annas Herzschlag hatte ausgesetzt.
Es gab nur einen Menschen außer der Fotografin, der Zugriff auf dieses Bild haben konnte: Dingo.
Und nun, nach beinahe einem Jahr, wollte er sie erpressen?
War er so lange wütend gewesen? Hatte er seinen Hass so lange genährt, bis er sie vernichten wollte?
Ihr gesamtes Leben würde in Flammen aufgehen, wenn er dieses Bild veröffentlichen würde. Alles wäre vergebens gewesen.
Mit zitternden Fingern, rasendem Puls und einem sehr flauen Gefühl im Magen antwortete sie ihm: ‚Was verlangst du?‘
Seine Antwort war nicht länger als die vorherige Nachricht: ‚Du wirst tun was ich dir auftrage, wie ich es dir auftrage und wann ich es dir auftrage. Verstanden?‘
‚Ja.‘
Zu mehr war sie nicht mehr fähig gewesen und es kam auch keine unmittelbare Antwort von ihm.

Bis zum Abend hatte sich weder ihr Puls noch das Zittern ihrer Hände beruhigt. Und auch die Magenschmerzen wurden schlimmer.
Gebannt wartete sie auf Anweisungen, die nicht kamen. Drückte ständig reload in ihrem Mailprogramm. Und dann kamen die Tränen.
Erst spät in der Nacht rollte sie sich auf ihrem Bett zusammen. Den Blick noch immer auf den Bildschirm des Laptop gerichtet. Irgendwann übermannte sie die Erschöpfung.
Doch all die Tränen hatten ihr Erleichterung verschafft. Ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen galt Dingo: ‚Zumindest hat er mich nicht vergessen.‘

Die folgenden Tage verbrachte sie wartend. Ihr sorgsam konstruiertes Leben war in akuter Gefahr, aber sie wartete beinahe schicksalsergeben auf die nächste Mail. Niemand bekam sie zu Gesicht. Ihr Anrufbeantworter war bald voller Nachrichten von ihrer Familie, ihren Freundinnen und natürlich ihrem Verlobten. Aber sie wollte niemanden sehen.
Sie konnte sich kaum überwinden etwas zu essen und ihr Blick löste sich nicht länger als unbedingt nötig vom Bild ihres Mailprogramms. Aber erst am Freitagmorgen kam eine neue Mail von ihm. Die Mails anderer Leute hatte sie schlicht ignoriert.
Und als sie den Absender las, er verwendete seine alte Mailadresse, setzte ihr Herz wieder einige Schläge aus.
Sofort war sie wieder nervös. Sofort war ihr Puls wieder auf hundertachtzig. Mit zitternden Fingern veranlasste sie die Mail, sich zu öffnen.

‚Heute kommt ein Paket für dich zu deiner WG-Adresse. Was darin ist, wirst du heute Abend tragen.
Du wirst nichts sonst tragen und außer dreißig Euro nichts mitnehmen, wenn du das Haus verlässt.
Du wirst ein Taxi rufen und einsteigen. Es soll dich zur folgenden Adresse bringen …‘

Die weiteren Anweisungen waren nicht weniger präzise. Sogar was sie zu sagen hatte, wann sie nichts sagen durfte und wie sie sich verhalten sollte, war minutiös beschrieben.
Nur der letzte Satz beinhaltete eine Drohung:
‚Und denk daran: nur ein einziges Wort …‘

Als hätte sie sich jemandem anvertrauen können. Niemand durfte davon erfahren. Nicht einmal die Polizei. Vor allen Dingen keine Fremden wie Polizisten.
Sie hatte keine Wahl. Sie musste tun, was er ihr befahl.
Und nachdem sie sich das eingestanden hatte, fühlte sie sich besser.
Sicher, sie war immer noch nervös. Ihr Puls wollte sich nicht beruhigen. Ihre Hände nicht aufhören zu zittern. Aber sie hatte ja keine Wahl.

Das Paket kam wie angekündigt und darin befand sich das ‚Kleid‘ aus metallenen Kettengliedern, die unmöglichen Schuhe und ein Halsband aus schwarzem Samt mit einer Brosche daran, die einen blauen Stein hielt.
Ein Outfit wie aus einer ihrer Geschichten. Und das Halsband war ein aufregender Scherz aus ihren Mails gewesen. Lediglich eines fehlte daran.
In jener Mail hatte er vorgeschlagen, in dem Halsband könne etwas stehen wie ‚Eigentum von Dingo‘.
Doch in diesem Halsband war keine Inschrift zu finden.

Sie machte sich zurecht, wie er ihr aufgetragen hatte. Rasierte sich am ganzen Körper, obwohl es Stunden dauerte.
Nur ihr Haar hatte keine Erwähnung in der Mail gefunden. Normalerweise trug sie es in einem Dutt. Einer einfachen Hochdreh-Frisur, die keinen Aufwand machte. Ihr Verlobter mochte das. Er fand ihre langen, schwarzen Haare lästig, wenn sie nicht gebändigt waren.
In den letzten Tagen hatte sich Anna ziemlich vernachlässigt und ihr Haar hatte die meiste Zeit in dieser Form verbracht. Nachdem sie es nun gewaschen und getrocknet hatte, fiel es nicht so glatt wie sonst, sondern legte sich in lange Wellen. Sie beließ es dabei. Nicht weil sie sich erinnerte, dass Dingo einmal gesagt hätte, er hasse Dutts, sondern weil er selbst das bisschen Mühe nicht wert war, die Haare hochzudrehen.

Und nun war sie hier. In der Disko. Und stand noch immer in der Ecke.
Hier beachtete sie niemand. Beinahe niemand. Nur ein paar Jugendliche hatten sie erspäht und versuchten Genaueres zu erkennen.
Nun war es soweit. Sie konnte sich nicht länger drücken. Hatte ohnehin schon länger hier gestanden, als sie gedurft hätte.
Ihr nächstes, vorgegebenes Ziel war die Tanzfläche. Die war kaum auszumachen, weil sich alle möglichen Menschen überall im Takt der Musik bewegten, doch an einer Stelle war es etwas heller im nebligen Dunst. Dort schienen einige Metallstangen bis zur Decke zu ragen. Dort musste es sein.
Anna war sich nicht sicher, ob sie die kommende Aufgabe bewältigen konnte, aber er hatte ihr klar eröffnet, dass sie beobachtet werden würde. Und wenn sie versuchte eine seiner Anweisungen nicht auszuführen, wäre ihre Vereinbarung geplatzt.

Seufzend löste sie sich aus der relativen Sicherheit ihres Verstecks.
‚Kopf hoch, Brust raus‘, ermahnte sie sich in Gedanken. ‚Er mag mich zwingen können hier wie eine Schlampe herumzulaufen und mich vor Hunderten von Menschen zu erniedrigen, aber wenn ich ihm gestatte, meinen Stolz zu brechen, dann hat er gewonnen.‘
Woher nur kam dieser Schauder bei dem Gedankengang?
Ekel natürlich. Was sonst?

So gut es ihr möglich war, hielt sie sich gerade und aufrecht. Sich selbst konnte sie damit nicht täuschen, aber ein paar der Umstehenden, die zufällig in ihre Richtung blickten, machten ihr tatsächlich ein wenig Platz.
Deren Blick ruhte allerdings nicht auf ihrem Gesicht, dessen Ausdruck sie so unnahbar wie möglich hielt, sondern auf ihrem Körper.
Beinahe wäre sie vollkommen zusammengebrochen, als ihr klar wurde, wie sich ‚Brust raus‘ in diesem verdammten Kleid auswirken musste. Ihre Brustwarzen rieben sich nun nicht mehr an der Innenseite der Kettenglieder, sondern reckten sich eindeutig hindurch.
Aber jetzt der Scham nachzugeben, hätte sie ihre letzten Kraftreserven gekostet. Sie hätte verloren.
Also hielt sie sich mit allem verbliebenen Mut weiter gerade und ignorierte so gut wie möglich die Blicke. Auch wenn ihr Kopf aussehen musste wie eine Tomate.

Und erstaunlicherweise funktionierte es.
Man machte ihr Platz. Nicht viel, aber genug, dass sie nicht weiterhin Angst vor den Zigarettenenden und Ellenbogen haben musste, oder um die Unversehrtheit ihrer Füße.
Trotz der unwahrscheinlichen Situation verspürte Anna ein seltsam erhebendes Gefühl, als sie bemerkte, wie sich der Hinweis auf ihr Vorankommen ungefähr einen Meter vor ihr fortpflanzte. Betrunkene stupsten Nüchterne an, Männer Frauen. Und sie alle schauten, was es zu sehen gäbe.
Sie alle musterten die Frau, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war und nun – stolz wie eine Diva und scheinbar ohne nennenswertes Schamgefühl – in Richtung der Tanzfläche schwebte. Sie musterten den aufregenden Körper, dessen Konturen durch das Kleid ebenso gut zu erkennen waren, wie der Umstand, dass sie keine Unterwäsche trug. Und dann schauten sie in das Gesicht, das zwar vor Aufregung zu glühen schien, aber dennoch seltsam entrückt wirkte, als wäre es der Frau egal, wie ihre Show aufgefasst wurde.
Anna fühlte sich, als beobachte sie sich selbst von einem höher gelegenen Beobachtungspunkt aus. Als sei nicht sie es, die dort durch die sich teilende Menge schritt. Und unwillkürlich fühlte sie ein wenig Bewunderung für diese unnahbare, aber aufregende Frau, von der sie niemals vermutet hätte, dass sie in ihr steckte.
Ein leichtes Hochgefühl erfasste sie.
Sie würde es Dingo zeigen.

Ohne nennenswerte Hindernisse überwinden zu müssen, erreichte sie die Tanzfläche, wo die Leute sich auf sehr unterschiedliche Weise der Musik hingaben. Manche wiegten sich nur leicht, andere sprangen mit wild peitschenden Haaren durch die Gegend und gefährdeten dabei nicht nur sich selbst.
Aber Anna wollte nicht direkt auf die Tanzfläche. Ihr Ziel war das nächstgelegene der vier erhöhten Podeste, von denen aus sich die Metallstangen zur Decke reckten.
Dort hielt sich ein ziemlich betrunkener, junger Mann an der Stange fest und versuchte seine Interpretation eines anregenden Tanzes mit der Stange vorzuführen. Er war ziemlich in sein Tun vertieft, aber trotzdem bemerkte er Anna, als sie bei ihm ankam.
Sein glasiger Blick klärte sich kaum, als er ihr kurz ins Gesicht sah. Und während seine Augen sich langsam an ihrem Körper entlang nach unten vortasteten, wurde er eher noch starrer.
Ein ziemlich debiles Grinsen machte sich auf seinen Lippen breit. Die Bierflasche verließ seine linke und die Stange seine rechte Hand, als er nicht mehr genug Konzentration dafür aufwenden konnte, beides festzuhalten. Doch sein Blick löste sich keine Sekunde von Annas Körper, während er langsam rückwärts kippte und sich vermutlich nur wegen der ahnungslosen Körper nicht ernsthaft verletzte, die nicht rechtzeitig ausweichen konnten.

Anna sah ihm kurz dabei zu, wie er fröhlich lachend aus dem Bild kippte und in der Masse wogender Leiber verschwand. Doch dann richtete sie ihren Blick entschlossen auf die Stange und das Podest. Eleganter, als der vorübergehend losgelöste Teil ihres Selbst es für möglich gehalten hätte, stieg sie trotz ihrer hohen Absätze hinauf.
Natürlich war Anna sich der Tatsache bewusst, dass es psychologisch bedenklich sein mochte, sich selbst so losgelöst zu betrachten. Doch irgendwie gefiel ihr die ganze Situation langsam. Die Scham stand ihr nicht länger im Weg, nachdem sie sich in die Situation gefügt hatte. Und dank ihrer Losgelöstheit konnte sie die Grenzen ihrer Erziehung, die Barrieren von Anstand und Moral, einfach ignorieren.
Aus dieser Perspektive fand sie die Situation sogar anregend.
Sie war nicht länger irgendwer, sondern das Zentrum einer anzüglichen, aber auch seltsam respektvollen Aufmerksamkeit. Und die Leute wollten sehen, was sie als Nächstes tat, als wäre sie so etwas wie eine Berühmtheit.
Es gab keine Häme ob irgendwelcher Peinlichkeiten, wie sie es allzu oft erlebt hatte, wenn ihr ein Missgeschick passiert war. Keine abfälligen Bemerkungen. Die Aufmerksamkeit hatte nichts Herablassendes.
Anna schämte sich nicht, sondern war langsam aber sicher richtig stolz auf die Wirkung, die sie erzielte. Und das schien einen beträchtlichen Unterschied zu machen.

Ohne sich durch Nebensächlichkeiten wie bewusstes Nachdenken über ihr weiteres Vorgehen ablenken zu lassen, legte sie die Hände an die Stange. Das momentane Musikstück steckte in den Schlussakkorden. Und es war ohnehin nicht geeignet, irgendeine Form von Show zu bieten. Also wartete sie einfach kurz ab, ohne sich durch Konzentration auf irgendetwas anderes, als das angenehme Gefühl in ihrer Bauchgegend irritieren zu lassen.
Mit keinesfalls schamhaft, sondern eher andächtig gesenktem Kopf überstand sie eine kleine Pause, während der DJ offenbar ein anderes Musikstück vorbereitete, als ursprünglich eingeplant.
Die Klavierklänge der Einleitung zum mittlerweile schon recht alten ‚Bring me to life‘ von Evanescence waren allerdings überraschend genug, um ihre Entrücktheit kurz zu durchbrechen. In erster Linie, weil sie einst mit Dingo darüber gesprochen hatte, wie passend das Lied die Aufforderung repräsentierte, die sie ihm gegenüber ausgesprochen hatte: ‚Hol mich aus meinem langweiligen Leben und weck mich auf. Gib mir den Mut und die Kraft es zu wagen.‘
Ein Zufall? Sein Plan?
Gleichgültig.
Etwas Passenderes hätte sie nicht auswählen können.
Die Empörung des anständigen Teils ihres Geistes verhallte ungehört.

Anna war den Kopf zurück und ließ ihr langes Haar durch die Luft rauschen. Ein beinahe fiebriges Gefühl kroch aus ihrem Bauch heraus den Hals entlang und über ihre Wangen. Hätte sie darüber nachdenken wollen, wäre sie sich des strahlenden Glanzes in ihren Augen sicherlich bewusst gewesen und hätte sich womöglich dafür geschämt.
Aber nicht jetzt …

„How can you see into my eyes, like open doors …?”
Es war keine bewusste Handlung, dass sie lautlos den Text mitsang, während sich ihr Bein um die Stange legte. Ebenso wenig wie sich zurück zu lehnen, bis ihr Hinterkopf beinahe den Boden des Podestes berührte.
„Without a soul, my spirit sleeping somewhere cold …”
Es war intuitiv, sich mit den einsetzenden Gitarrenakkorden wieder hinaufzuziehen und ihren Körper an die Stange zu pressen. Sich mit dem Unterkörper daran zu reiben, als sei es ein Stab aus Fleisch und nicht aus Metall.
„Wake me up“
Der Schwung um die Stange, das Wirbeln ihrer Haare, das Rucken im Takt, waren keine bewussten Handlungen. Und dennoch war ein Teil ihres Geistes hellwach.
Natürlich war sie zu solchen Bewegungen in der Lage. Schlau genug, den Ballettunterricht der Kindheit abzuwandeln, aber woher kam dieses Feuer zwischen ihren Schenkeln? Woher kam das Flattern ihres Herzschlags?
„Wake me up inside“
Als wäre der Text für diesen Tag, diese Stunde, für sie geschrieben worden.
„Save me“
‚Rette mich? Wovor?’
„I can’t wake up“
‚Kann nicht aufwachen. Nicht allein. Nicht ohne Hilfe.‘
„Save me from the nothing I’ve become“
‚Rette mich vor dem Nichts, zu dem ich geworden bin. Dem Nichts, das ich immer war.‘

Tief in einer verwirrenden Flut von Gedanken versunken war sich Anna ihrer Umgebung nicht mehr bewusst. Doch dass sie etwas heraus ließ, bemerkte sie deutlich. Etwas, das tief in ihr schlummerte. Das vielleicht nur auf diese Gelegenheit gewartet hatte.
Entfernt war sie sich im Klaren darüber, dass sie sich wie eine Stripperin an einer Metallstange räkelte und es genoss als wäre sie eine Exhibitionistin. Es war ihr nicht einfach egal, dass man bei ihren wilden Bewegungen hier und da fast alles von ihrem Körper sehen konnte. Nein, sie wollte es.

„Frozen inside without your touch”
‚Erfroren ohne deine Berührung. Selbst wenn sie nur geistig ist.’
„Without your love, darling”
‚Ohne deine Liebe. Und wenn nicht das, dann wenigstens deinen Hass. Wenigstens etwas …‘
„Only you are the life among the dead“
‚Nur du hast mich so tief berührt. Hast mir einen Hauch von Leben geschenkt.‘

Tränen bildeten sich unbemerkt und liefen ihr übers Gesicht. Sie hatte für einen kostbaren Augenblick das Leben geschmeckt und war geflohen, vor dem Feuer, aus Angst zu verbrennen. Und dabei war es doch genau das, was sie sich ersehnte. Verbrennen, wenn es nicht anders ging, aber wenigstens nicht mehr in der Eiseskälte weiter vegetieren.

„I’ve been living a lie”
‚Ich habe die Lüge gelebt glücklich sein zu können, aber du hattest mich durchschaut.‘
„There’s nothing inside”
‚Jetzt habe ich Nichts mehr. Keine Illusion von Zufriedenheit, aber auch dich nicht mehr.‘
„Bring me to life“
‚Wenigstens für diesen einen, kurzen Augenblick. Lass mich dieses eine Mal das Leben kosten.‘

Der Song verklang. Viel zu schnell.
Doch sein Ende, die letzten Worte aus dem Mund der Sängerin, rissen Anna zumindest ein wenig zurück in die Realität.
Ihr war heiß. Innerlich wie äußerlich. Schweiß lief über ihren Rücken und von ihrem Hals aus zwischen ihren Brüsten hindurch. Und er lief an ihren Oberschenkeln hinab.
Aus ihren Anweisungen wusste sie, dass er sie im ersten Stock erwarten würde, wo sich ein etwas abgetrennter Bereich zu befinden schien. Eine Treppe führte hinauf und eine Trennwand, durchbrochen von großen, fensterartigen Öffnungen, offenbarte eine kleine Bar mit einigen Gästen.
Hätte sie sich Kraft ihres Willens dorthin versetzen können, sie hätte nicht eine Sekunde gezögert, doch sie musste den langen Weg nehmen. Den Weg voller Gedanken, die sie jetzt nicht denken wollte.

Nach einem Augenblick nachdenklicher Stille setzte die Musik wieder ein und Anna wurde sich der Tatsache bewusst, dass fast jeder in ihrer Umgebung sie anstarrte.
Was war geschehen? Was hatte sie getan?
Scham …
Nein!
Stolz.
Sie streckte die Hände leicht nach vorne und sofort reichten ihr zwei Unbekannte auf der Tanzfläche die ihren. Mit Hilfe dieser Stütze war kam sie sanft und elegant von dem Podest herunter.
Annas Blick war weiterhin auf die Empore gerichtet, als ihre Füße wie von selbst den Weg dorthin einschlugen. Nur am Rande nahm sie wahr, dass sich auch diesmal die Menge vor ihr teilte.

Am Rand der Tanzfläche stieg sie eine Stufe hinauf, als jemand sie von der Seite berührte.
Eine Hand legte sich an die Innenseite ihres Oberschenkels. Finger krochen nach oben und suchten nach dem Ausgangspunkt ihrer körperlichen Hitze.
Anna erstarrte. Ganz kurz nur wagte sie es, sich dem Traum hinzugeben, er könne es sein, doch die Berührung war plump. Unsicher kratzten Fingernägel über ihre Haut auf der Suche nach dem Zugang zu ihrem Allerheiligsten.
Es gab einen kurzen Schub der Erregung in ihrem Bauch wie in ihrem Kopf und darauf folgte sofort leichte Ernüchterung.
Das konnte er nicht sein.

Zielsicher ergriff sie das Handgelenk, hielt es fest und wendete sich dem Grabscher zu. Er war zwar nicht völlig besoffen, aber offenbar stark angeheitert. Und dass Anna ihn nicht sofort anschrie, hatte rein gar nichts mit ihm zu tun.
Sie hatte die freche Hand angehoben und irgendetwas damit tun wollen, doch nun starrte sie auf die glitschige Feuchtigkeit darauf. Ihr Verstand weigerte sich einen Moment lang zu akzeptieren, was ihre Augen und ihre Nase ihr mitteilten.
An ihren Oberschenkeln lief kein Schweiß hinab, sondern etwas anderes. Etwas, dass aus ihrer Mitte zu fließen schien wie Wasser.
Geilheit …
Wann war sie jemals in ihrem Leben so feucht gewesen?

Annas Zorn verrauchte. Der Mann war unwichtig. Und eigentlich konnte sie es ihm nicht verübeln.
Aber dennoch hatte er kein Recht dazu.
Warum?

Das Handgelenk noch immer umschlossen drückte sie dem Unbekannten seine eigene Hand ins Gesicht.
„Näher wirst du der Quelle nicht noch einmal kommen“, zischte sie ihm so aggressiv zu, dass sie selbst fast von ihrem Tonfall überrascht wurde.
Der Daumen ihrer anderen Hand legte sich unter ihr Halsband und zog es etwas deutlicher in sein Gesichtsfeld.
„Eigentum von Michael.“

Der Angetrunkene schien für einen Moment protestieren zu wollen. Doch er konnte ihrem Blick nicht standhalten.
Sich abwendend murmelte er gerade noch hörbar: „Scheiß Glückspilz, der Wichser.“

Anna nahm unwillkürlich ihren unterbrochenen Weg wieder auf. Doch ihre Gedanken hatten etwas Neues gefunden, was sie beschäftigte.
Michael. Englisch ausgesprochen hatte er einst geschrieben. Wann hatte sie aufgehört, von ihm in seinem Pseudonym zu denken? Wann war er zu einer realen Person geworden.

Plötzlich kam sie ins Stocken.
Es würde nicht gut ausgehen. Einst mochte er sie geliebt haben. Oder zumindest wäre Liebe eine Möglichkeit gewesen, wäre sie ihm gegenübergetreten. Aber nun hasste er sie. Nun, wo er einen Weg gefunden hatte, sie zu ihrem Glück zu zwingen.
Er wollte sie erniedrigen. Wollte ihr persönlich gegenübertreten und ihr seinen Hass ins Gesicht schleudern.
Dann würde sie ihn wenigstens noch einmal sehen. Auch wenn es kein freudiges Wiedersehen wäre. Und vielleicht, nur vielleicht würde er sie erniedrigen wollen, indem er …

Anna setzte sich wieder in Bewegung. Schneller jetzt.
Sie hastete die Treppe hinauf. Stolperte zweimal, konnte sich aber noch abfangen.
Der halb offene Raum am Kopf der Treppe enthielt nur einige Tische und die Bar. Er war nicht annähernd so überfüllt wie der untere Bereich. Aber das interessierte sie nicht.
Ihr Blick zuckte durch die Rauchschwaden und suchte ein Gesicht oder etwas anderes Vertrautes. Und sie fanden etwas.
Mit dem Rücken zum Eingang saß dort ein Mann. Breitschultrig und hochgewachsen. Aber was noch wichtiger war: Er hatte blondes Haar, zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst und an den Seiten des Kopfes kurz rasiert.
Anna kannte diese Frisur. Von Fotos und von jenem schicksalhaften Tag, an dem sie ihr Glück zerstört hatte, noch bevor es sich hatte entfalten können.

Zielstrebigkeit und Sicherheit fielen von ihr ab als seien sie nur geborgt gewesen. Ihre Schultern sackten nach unten und mit einem Mal spürte sie wieder die Schamesröte an ihrem Hals hinauskriechen.
Dort saß er. Wandte ihr den Rücken zu. Vielleicht hatte er nicht einmal beobachtet, was dort unten vor sich gegangen war. Es nur von irgendeinem der anderen Männer hier beobachten lassen.
Es interessierte ihn nicht. Er wollte nur eines: Sie für das erniedrigen, was sie ihm angetan hatte.

Einer der Männer an seinem Tisch sprach ihn an. Machte ihn auf etwas aufmerksam. Nickte in Annas Richtung.
Hätte sich jetzt ein Loch im Boden aufgetan, sie wäre hineingesprungen. Doch für eine Flucht die Treppe hinab fehlte ihr die Kraft.
Michael blickte kaum lang genug über die Schulter, um ihr auch nur einen flüchtigen Blick zu schenken. Und dann begnügte er sich damit seinen Arm zu heben und sie herbei zu winken wie eine Kellnerin.
Langsam näherte sie sich dem Tisch. Zögerte jeden Schritt hinaus. Trat neben seiner Schulter an den Stuhl heran.
Er blickte nicht auf. Wieder war es seine Hand in einer widerwärtig lässigen Geste, die ihr bedeutete, was sie tun sollte. Er zeigte auf einen Punkt schräg vor sich neben dem Tisch. Dorthin sollte sie sich stellen.

Annas Wangen brannten, als sie seiner Aufforderung folgte. Ein weiteres Mal an diesem Abend war ihr Kopf tiefrot. Die Hände hielt sie vor dem Schoss zusammen wie ein schüchternes Schulmädchen, dass vor den Direktor zitiert wird. Ihr Kopf war gesenkt, ihr Blick fixierte den Boden.

„Du hast dich also durchgerungen hierher zu kommen“, stellte er laut genug fest, dass sie ihn trotz der Musik verstehen konnte. „Nicht wie vor ungefähr einem Jahr, wo dich keine Erniedrigung erwartet hätte.“
Seine Stimme klang gepresst, als müsse er sich beherrschen, sie nicht anzufallen und zu verprügeln.
„Um dir gegenüberzustehen, musste ich erst deine heile Welt in Gefahr bringen. Dich zwingen. Dich erpressen.“

„Ich …“
Sie setzte an. Wollte es ihm erklären. Ihn um Verzeihung bitte. Ihr Herz ausschütten.
Aber er unterbrach sie: „Ich habe dir nicht gestattet zu reden. Ich will deine Ausreden nicht hören.“
Es war eine Abfuhr. Er hatte sie beinahe angebrüllt. Und sie wurde noch verlegener. Zitterte. Konnte die Tränen nicht zurückhalten.
„Sieh mich an“, forderte er.
Nur mühsam schaffte es Anna, den Kopf zu heben.
Er starrte ihr ins Gesicht. Sein Blick verschlossen. Nicht mehr hoffnungsvoll und strahlend, wie an jenem Tag, sondern finster und drohend. Seine Lippen waren fest aufeinander gepresst. Sein Kiefer angespannt. Die Hand an der Stuhllehne und die andere, in der er eine Bierflasche hielt, waren so verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Da stehst du und flennst. Weinst deiner heilen Welt hinterher. Schämst dich für all die schändlichen Dinge, zu denen ich dich gezwungen habe.“

„Bitte“, brachte sie in flehendem Ton hervor. „Ich würde alles tun, Mi-„
Seine linke Hand schnellte vor in Richtung Tisch und knallte die Bierflasche mit solcher Wucht darauf, dass sie zerbrach. Sogar die anderen Männer am Tisch, die bislang ausdruckslos und stumm beobachteten und zuhörten, zuckten zusammen.
„Sicher würdest du alles tun, um dein Geheimnis zu bewahren!“, schnauzte er. „Aber wie weit würdest du wirklich gehen …?“
Er blickte in die Runde und rang sich ein verkniffenes Grinsen zu den anderen Männern ab.
„Wollen mal sehn. Hol mir ein neues Bier. Meins hast du ja kaputtgemacht.“
Verhaltenes, fast gezwungenes Gelächter war die Antwort seiner Freunde.

Anna war beim Knall der Bierflasche zusammengezuckt und hatte den Kopf eingezogen. Sie befürchtete nun tatsächlich, er könne ihr etwas antun.
Zögerlich wandte sie sich zur Bar und machte ein paar unsichere Schritte. Das alles war viel schlimmer als sie befürchtet hatte. Er wollte sie wirklich einfach nur fertigmachen.

Der Barkeeper ließ sich Zeit, ihr zittriges Winken zu beachten. Schließlich sah er zwar zu ihr hinüber, machte aber keine Anstalten ihre Bestellung aufzunehmen. Und dann blickte er neugierig an ihr vorbei. Zu einem Punkt unmittelbar hinter ihrem Rücken.
Anna erstarrte.
Jemand stand hinter ihr. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf.
Sie konnte die mühsam beherrschte Wut in ihrem Rücken mit einem Mal spüren wie eine körperliche Berührung. Fast fühlte es sich an wie Begierde. Aber das …

Eine Hand legte sich an ihre Hüfte. Eine Zweite auf ihre Schulter.
En Körper drängte sich hart an ihren Rücken und drückte sie gegen den Tresen. Die Hand auf ihrer Schulter legte sich um ihren Hals und packte sie kraftvoll. Beinahe so fest, dass es ihr die Luft abschnürte. Die andere Hand wanderte grob über ihren Bauch nach oben in Richtung ihrer Brüste.
‚Nein! Nicht so! Nicht von hinten. Nicht voller Hass …‘
Sie wollte schreien, bekam aber keinen Ton heraus.
Er hatte sie grob gepackt und drückte sie an sich. So fest hatte sie noch niemals ein Mensch an sich gedrückt. Obwohl sich der Druck an ihrem Hals nicht weiter verstärkte, schnürte es ihr mit einem Mal die Luft ab.
So hätte es sein können. Nicht voller Hass, sondern voller Lust und Leidenschaft. Von Angesicht zu Angesicht. Auge in Auge.
Und nun tat er es nur, um sie zu erniedrigen.
Etwas in ihr starb. Sie wusste, dass es niemals mehr wie vorher sein würde. Niemals wieder.

Ihre Hände stützten sich weiterhin am Tresen ab.
Sie sollte sich wehren. Versuchen, seinen Griff zu sprengen. Doch die Signale ihres Gehirns erreichten die Arme nicht. Wurden vielleicht gar nicht erst abgeschickt.
Stattdessen legte sie den Kopf in den Nacken. Entblößte ihre Kehle noch mehr seinem wütenden Griff.
Ein Zittern durchlief ihren Körper, als die andere Hand ihre Brust erreichte. Kraftvoll und fest packte er von unten daran und drückte sie zusammen. Suchte mit Daumen und Zeigefinger die Brustwarze um sie zu quetschen.
Schmerz durchzuckte Annas Körper. Aber auch noch ein anderes Gefühl.
Es tat weh und zugleich war es wie eine Stichflamme in ihrem Kopf, die sie zum Stöhnen brachte. Langgezogen und anschwellend floss es aus ihrer Kehle.
Etwas fing an, ihren Innenoberschenkel hinab zu rinnen.

Seine Hand an ihrem Hals drückte ihren Kopf etwas herum. Sie spürte seine Lippen an ihrem Ohr, seinen Atem an ihrem Hals. Hörte seine geflüsterten Worte, die dennoch wie durch geschlossene Zähne gepresst klangen: „Ein einziges Wort von dir …“
Ja. Ein einziges Wort von ihr und …
Sie fürchtete die Drohung in seiner Stimme nicht. Sollte er doch mit ihr machen, was er wollte. Sie würde es nicht nur überstehen, sondern sogar genießen. Danach würde sie ihn ebenso hassen können, wie er sie hasste. So wie es sein sollte.
Sie würde zurückkehren in ihr altes Leben und ihm nicht mehr nachtrauern, denn er würde ihr wehgetan haben.

„Tu mir weh …“
Sie bemerkte kaum, dass sie es laut aussprach. Es war nicht mehr als ein Hauch. Aber es war keine trotzige Aufforderung, sondern klang mehr wie ein flehendes Wimmern.
Drei Worte.
Hoffentlich würde es drei Mal so schlimm dadurch.

Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihre Schulter. Direkt am Nacken.
Er explodierte wie eine gewaltige Feuerwerksrakete. Anna atmete schnell und zischend ein.
„Ahhh!“
Sie ruckte mit dem Kopf nach vorne und erwürgte sich fast an seiner Hand. Der Explosion folgten eine weitere in ihrem Kopf und eine Dritte in ihrem Unterleib.
„Gooott…“
Es war als platze etwas in ihr und eine Welle überschlug sich in ihrem Innersten. Ihre Knie knickten ein, und obwohl ihre Augen geschlossen waren, drehte sich alles um sie herum.
Die Nachwirkungen des Schmerzes wollten kein Ende finden. Beinahe war sie dankbar, als die Hand sich von ihrem Hals löste und sie japsend nach Luft schnappen konnte. Krampfhafte Zuckungen erschütterten ihren Unterleib und an ihrem Oberschenkel floss nicht länger ein Rinnsal hinab. Es war beinahe eine Überschwemmung.

Michael ließ ihr kaum Zeit, zu Atem zu kommen.
Er packte ihre Haare und zwang sie, sich zur Seite zu drehen. Dann beugte er sie nach vorne, bis sie überraschend auf die Sitzfläche eines Barhockers traf.
Warum öffnete sie nicht die Augen?
Sie konnte es nicht. Weder dass, noch Widerstand leisten. Obwohl sie nun mit durchgestreckten Beinen und rechtwinklig vorgebeugtem Oberkörper vor ihm stand. Er drängte sich an ihren Hintern. Sie spürte seine Erektion.
Aber auch, als er ihr Kleid nach oben schob, konnte sie nichts tun. Apathisch und noch immer von der schmerzhaften Attacke an ihrem Nacken zitternd ließ sie alles geschehen.
Sie hörte es nicht, aber sie spürte, wie er an seiner Hose nestelte. Sie wusste, er würde kaum mehr tun als seinen Hosenstall zu öffnen und seinen Schwanz herauszuholen. Mehr war sie nicht wert.
Dann spürte sie es. Spürte das heiße Fleisch an ihrem Po. Die seltsam weiche Härte, mit der es sie gleich zerreißen wollte. Er würde kein Kondom verwenden. Sie würde nicht schwanger werden, aber wer wusste schon, was er für Krankheiten mit sich herumschleppte. Vielleicht speziell für sie …
Und was wenn …?

Das unglaubliche Gefühl aufgespießt und schmerzhaft auseinandergerissen zu werden, unterbrach den Gedanken.
Unwillkürlich löste sich ein Schrei von Annas Lippen und sie krallte sich an den Barhocker. Sie war nicht bereit gewesen. Nicht vorbereitet. Sie brauchte immer Vorbereitung, bevor sie jemanden in sich eindringen ließ.
Es brannte zwar nicht wie sonst, wenn sie nicht feucht genug war, aber es war zu viel. Sie glaubte, platzen zu müssen.
Mit einem einzigen Stoß war er bis über ihren tiefsten Punkt hinaus eingedrungen.
Er wollte sie zerreißen. Ihr Schmerzen zufügen. Und sie wollte es auch. Wollte ihn hassen können. Deswegen war es so unglaublich gut.
Ihre Muskeln fingen an, sich zu entspannen. Passten sich an seine Größe an. Das Ziehen ließ nach und machte einem unendlich wohligen Gefühl Platz.
Nein. Es durfte nicht angenehm sein. Es musste …

Er zog sich zurück. Vollständig.
Sie fühlte sich leer. Unvollständig. Einsam.
Aber dann rammte er erneut seinen Schwanz in sie hinein. Wieder ohne Rücksicht. Wieder bis zu dem Punkt, an dem seine Hoden an ihre Scham klatschten und es sie innerlich zerriss.
Wieder musste sie schreien. Tränen liefen aus ihren geschlossenen Augen.
Es tat so … weh!
Ja, es war schmerzhaft. Das Schmerzhafteste, das sie jemals erlebt hatte. Schmerzhafter als das erste Mal. Schmerzhafter als das gebrochene Bein in der fünften Klasse. Es musste Schmerz sein. Durfte nichts anderes sein …
Mit einer Hand versuchte sie ihren Mund zu verschließen, biss aber doch nur hinein um den Schmerz zu verstärken.

Er zog sich wieder zurück.
Nein.
Bitte nicht.
Mehr Schmerz. Mehr Ausgefülltsein. Mehr …

Er zögerte nicht.
Sein Schwanz kam ein drittes Mal. Nicht sofort. Sie wäre vorbereitet gewesen. Er wollte, dass sie litt. Er wartete eine halbe Sekunde. Wartete, bis sie nicht damit rechnete.
Und dann füllte er wieder ihre Leere.
„Jaaa…!“
Es war nicht echt. Sie musste ihm etwas vorspielen. Musste ihn glauben machen, sie würde es genießen. Dann würde er weitermachen.
Obwohl er sie verletzen wollte?
Egal.
Es musste so sein. Alles andere wäre nicht möglich.
Es durfte nicht sein anständiger Penis sein, der ihre anständige Vagina penetrierte. Es musste sein Schwanz in ihrer Fotze sein. Nur dann durfte es weitergehen. Nur dann musste sie sich nicht wehren. Nur dann war sie das Opfer und er der hassenswerte Täter.
Nur dann durfte er noch einmal zustoßen, nachdem er sich zurückgezogen hatte.

Leere.
Einsamkeit.
„Bitte …“

Da!
Ein neuer Stoß. Eine neue Welle in ihrem Inneren. Höher als die Vorherige. Nicht mehr lange …
„Mehr …“

Der nächste Stoß. Willkommener Schmerz. Süßer Schmerz. Beinahe genug …
„Tu mir weh … Bitte!“

Und dann kam er. Der letzte, entscheidende Stoß. Der Punkt, an dem die Welle sich überschlug.
Anna erfasste kaum, dass es ihr Wimmern war, dass sie hörte. Ihre Beine knickten weg und nur seine Hände an ihren Hüften verhinderten, dass er aus ihr heraus glitt. Ihr Unterleib zuckte unkontrolliert und ihre Zähne hinterließen tiefe Abdrücke in ihrer Hand. Ein metallischer Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Blut.
Aber das war bedeutungslos, denn in ihrem Kopf explodierte erneut ein Stern.
Blendend weiße Lichter tanzten vor ihren geschlossenen Lidern und sie konnte spüren, dass sich ihre inneren Muskeln fest um den Schaft in ihrem Inneren krampften, ihn wieder freigaben und sich erneut zusammenzogen.
Wem wollte sie etwas vormachen?
Sie hatte einen Orgasmus. Einen weiteren Orgasmus.
Es war kein Schmerz. Es war das beste Gefühl, das sie jemals gehabt hatte.
Sie hatte Dingo geschrieben, dass es sie manchmal über die Spitze treiben konnte, wenn man ihr in den Nacken biss. Ein Traum. Eine logische Schlussfolgerung. Einen der wenigen Höhepunkte beim Sex hatte sie gehabt, als ihr erster Freund sie einmal unsanft und sehr fest an der Schulter packte und seine Finger sich krampfartig in ihren Nacken gruben, während er kam.
Dingo … Michael hatte sich daran erinnert. Und daran, dass sie all die verschiedenen Fantasien gehabt hatte, wie sie erniedrigt werden könnte. Fantasien, die ihr immer einen Orgasmus bescherten, wenn sie sich ihnen ganz für sich allein hingab.
Sie wollte es nicht wahrhaben, aber besser hätte sie sich niemals Sex erträumen können. Und es war ungerecht, das sie nicht nur versuchte sich zu belügen, sondern auch ihn.

Als sie zumindest rudimentäre Kontrolle über ihren Körper zurückerlangt hatte, registrierte sie, dass er unbeweglich in ihr verharrte. Sie weiterhin ausfüllte. Nicht gänzlich. Nicht so tief, wie sie es im Moment kaum hätte ertragen können. Aber er war da. Wartete.
Erschöpft wandte sie den Kopf, bis sie ihn ansehen konnte.
Da war kein Hass in seinem Blick. Die Augen lagen nicht verschlossen vor ihr.
Nein, sie waren offen und blickten verwirrt auf sie hinab. Verwirrt und … liebevoll?

„Um mich zu brechen, wirst du dir etwas besser einfallen lassen müssen.“
Sie konnte es nicht anders sagen. Brachte es nur matt hervor und blickte ihm dabei in die Augen.
Verstand er es?

Michaels Augenbrauen zogen sich zusammen und ein etwas härterer Ausdruck kehrte in sein Gesicht zurück.
„Immer noch nicht genug?“, fragte er fast resigniert. „Fein …“
Sarkasmus.

Langsam zog er sich aus ihr zurück. Hinterließ diese unerträgliche Leere.
Aber er wandte sich nicht ab. Blieb ganz dich bei ihr. Sein Schwanz legte sich zwischen ihre Pobacken. Elektrisierte sie. Machte ihr Angst. So wundervolle Angst.
Für ein paar Augenblicke tat er nichts weiter, als seine Eichel über ihren Damm zu reiben. Immer wieder von ihren überreizten Schamlippen bis zu ihrem Anus. Beinahe als wolle er sie streicheln.
Erst langsam dämmerte ihr, was er damit bezweckte.
Er verteilte all die Nässe von weiter vorne, dort, um …

„Nein!“
Sie ruckte mit dem Oberkörper hoch.
Aber das erwies sich als schlechte Idee, denn durch die Rückwärtsbewegung musste er nur noch das Zielen übernehmen. Sie spürte, wie sich etwas in ihren Ringmuskeln bohrte.
Sein Arm legte sich um ihre Schultern und er beugte den Kopf so weit vor, wie er konnte, ohne die Hüfte zu bewegen.
Sein Atem streifte ihren oberen Rücken und verursachte ihr eine Gänsehaut. Und seine Stimme drang gerade so bis zu ihrem Ohr: „Jetzt ficke ich deinen Arsch.“

Ein Schauder überlief Anna. Es war ein Schütteln von Kopf bis Fuß.
Sie hatte keine Wahl. Sein Arm zwang sie weiter hoch und nach hinten. Es lag nicht in ihrer Hand.
Mit weit in den Nacken gelegtem Kopf reckte sie ihm ihren Hintern immer weiter entgegen und spürte, wie erst die Eichel in ihren Hintereingang eindrang. Es musste schmerzhaft sein. Würde sie bestimmt zerreißen.
Nur ein losgelöster Teil ihres Verstandes wagte anzumerken, dass weder sein Arm noch seine Hüfte sich bewegten. Dass alle Bewegung von ihr ausging. Und dass der Schmerz ausblieb.
Währenddessen spürte sie, wie der Widerstand überwunden wurde. Die Eichel war in sie eingedrungen und nun schob sich der Schaft hinterher. Langsam und unendlich lang.
Er fickte sie in den Arsch. Im Geiste wiederholte sie seine Worte immer wieder. Und jedes Mal prickelte es nicht nur in ihrem Kopf, sondern auch in der Brust, im Bauch und noch etwas weiter unten. Jedes Mal lief ein Schauer über ihren Körper.
„Sto-„
Nein! Nicht das Wort! Ein Anderes!
„Halt. Warte.“
„Ich tue eigentlich nichts, Kleines“ Sie konnte sein Schmunzeln hören. Und spürte den Schauer, als er Kleines zu ihr sagte. Wie in den Mails. Keine Beschimpfung. Ein Kosename.
Ihr Rücken war bereits beinahe weit genug aufgerichtet, um seine Brust zu berühren. Ihre Köpfe waren so nah. Und doch zu weit voneinander entfernt.
„Zu … langsam“, stammelte sie. „Schneller … Bitte!“ Kurze, hektische Atemzüge rissen ihre Worte auseinander. „Fick … meinen … Arsch.“

Fest und zielstrebig drückte er mit der Hand ihren Rücken wieder nach unten, bis sie erneut auf dem Hocker lag.
Und dann packte er ihre Hüften. Innerlich bereitete sie sich auf einen unvorstellbaren Schmerz vor. Irgendwann musste er doch kommen.
Aber er rammte seinen Schwanz nicht so in ihren Darm, wie er es bei ihrer Fotze gemacht hatte.
Er tat es in einer einzigen, langsamen, gleitenden Bewegung. Ohne eine Pause, aber auch ohne einen Ruck. Und bei den letzten Zentimetern legte sich eine Hand um ihre Hüfte herum auf ihren Kitzler und drückte sanft zu.

„Ohhhh Gott!“
Es war ein unfassbares Gefühl. Nicht die Art Erfüllung, die sie verspürt hatte, als er den anderen Eingang malträtierte. Aber auch nicht schlechter.
Er steckte mit seinem Schwanz in ihrem Arsch. Seine Hoden berührten ihre Schamlippen, sein Becken ihre Pobacken. Er war drin. Es war fantastisch.

Er verharrte nur kurz, bevor er sich zurückzog. Ganz aus ihr verschwand.
Warum?
Sie blickte wieder zurück. Vorwurfsvoll.
„Was?“, fragte sie gereizt. Wollte das versaute Gefühl zurück einen Schwanz im Arsch zu haben. Michaels Schwanz.
Sein Blick ruhte auf ihr. Abschätzend.
„Willst du, dass ich bettele?“, brachte sie hervor. „Bitte steck ihn wieder rein. Bitte fick meinen Arsch. Fick … mich.“

„Endlich …“, murmelte er.
Und sofort setzte er seine Schwanzspitze wieder an ihrem Arschloch an.
Zufrieden und erwartungsvoll ließ sie den Kopf sinken und schloss die Augen.
Als er diesmal eindrang, genoss sie jeden Millimeter.
Und diesmal zog er sich nur zurück und nicht aus ihr heraus. Nur soweit, bis seine Eichel anfing, ihren Muskel von innen zu dehnen. Begleitet von einem Druck auf ihren Kitzler, schob er sich dann wieder hinein.
Er passte immer genau die Zeitpunkte ab, zu denen sie besonders deutlich die Reibung wahrnahm oder er ganz in ihr steckte, um über ihre Perle zu reiben. Und bald konnte sie nicht mehr anders als leise zu seufzen, wenn er das tat.
Mit jedem langsamen Stoß, jedem rein und raus, wurde das Seufzen lauter, bis es ein leises Stöhnen war.
Ein Schwanz in ihrem Arsch brachte Anna zum Stöhnen. Was war sie doch nur für eine Schlampe!

Dieser Gedanke öffnete ein weiteres Mal ihre Schleusen und sie spürte, wie sich die Feuchtigkeit ausbreitete.
Er musste es an seinen Fingerspitzen fühlen. Es war peinlich. Und so geil.

„Es ist so wundervoll eine Schlampe zu sein …“
Es war ein Wimmern. Vermutlich konnte niemand es verstehen, aber es musste raus.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die Wellen nicht mehr höher schlagen wollten.
Erst bemerkte Anna es gar nicht, dann war es ihr egal, denn das Gefühl war auch ohne die stetige Steigerung wunderbar.
Doch er schien es zu merken. Und schließlich stoppte er und zog ihn heraus.
Aber bevor sie protestieren konnte, zog er sie zu sich hoch und führte sie zu einem Stuhl. Saßen dort nicht irgendwelche Männer? Anna wollte es nicht wissen. Ließ die Augen geschlossen.

Sie ließ sich einfach führen. Wartete, als er ihr nicht bedeutete, weiter zu gehen und folgte seinen lenkenden Berührungen, bis sie bemerkte, dass sie sich setzen sollte.
Mit einem Gefühl der Vorahnung ließ sie sich nieder und war dennoch überrascht, als er sie geschickt so dirigierte, dass er unmittelbar in sie eindringen konnte.
Das war es, was noch besser war als sein Schwanz in ihrem Arsch.
Nicht ganz so schmerzvoll tief wie beim ersten Mal, aber das hätte sie auch nicht noch einmal durchgehalten. Dafür war es viel entspannter. Sie konnte sich zurücklehnen, den Rücken an seine Brust und den Kopf auf seine Schulter legen. Seinen Duft einatmen. Seine Nähe genießen. Und vor allem seinen Schwanz ganz tief in ihrer Muschi fühlen.
Sie musste sich nur ein ganz Kleines bisschen vor und zurückbewegen und der Kitzel steigerte sich. Mehr als diese kleinen Bewegungen waren nicht nötig um seine Härte in ihrem Inneren immer wieder an verschiedenen Punkten zu spüren.
Anna atmete gegen Michaels Hals. Immer schneller, bis sie sich selbst hören konnte.
Erst da fiel ihr auf, was noch fehlte.
Schnell hatte sie seine Hände gefunden. Sie lagen an ihren Hüften. Wie lange schon?
Zielstrebig zog sie daran, bis er sich erbarmte und sie auf ihre Brüste legte. Anfing an ihren Nippeln zu spielen.
Er hielt sie im Arm. Es wäre perfekt genau in einem solchen Augenblick zu sterben.

Anstelle des Todes brandeten jedoch die Wellen ganz langsam höher, die sie mittlerweile als die Vorboten eines dieser gewaltigen Höhepunkte identifizierte. Und deswegen beschloss sie das Sterben noch ein wenig aufzuschieben und benutzte ihre freien Hände lieber dazu, sich endlich auch auf dem Schwanz in ihrem Inneren auf und ab zu bewegen.
Das war noch um ein Vielfaches besser.

Erst als die Wellen ihr bereits bis zum Hals schlugen, bemerkte sie langsam, dass auch sein Atem flacher und lauter wurde. Und das Tempo steigerte sich schnell.
Nun musste sie die Augen aufschlagen. Musste von der Seite sein Gesicht betrachten. Aus ihrem offenen Mund schlug der Atem gegen seinen Hals und dort pulste eine Ader beinahe im Gleichtakt.
Gleichtakt.
Gleich …

Es war sanfter und vielleicht deswegen umso erschütternder.
Diesmal war es keine Explosion, sondern eine langgezogene Flut der Erfüllung.
Irgendwann konnte sie sich nicht mehr auf und ab bewegen, deswegen wiegte sie sich einfach so weit vor und zurück, wie es ging, ohne ihn zu verlieren. Und damit läutete sie auch seinen Endspurt ein.
Sie erkannte es daran, wie er lauter und schneller atmete. Aber eigentlich reichte ihr diese Ader an seinem Hals. Sie sagte ihr alles, was sie wissen musste.
Die Welle der Hitze war bereits so wundervoll hoch, als sie es fühlte. Tief in ihr entwickelte der Schwanz plötzlich ein Eigenleben. Bewegte sich. Zuckte und dann war da etwas, dass sie von innen traf. Etwas unglaublich Heißes.
Nun konnte sie die Augen schließen und sich einfach fortspülen lassen.
Nun war alles perfekt.
Für einen unschätzbaren Augenblick war sie völlig weggetreten.

Als sie ihre Umgebung wieder wahrnehmen konnte, schien kaum Zeit vergangen.
Noch immer saß Anna rücklings auf dem Schoß von Michael und lehnte an seiner Brust. Noch immer lag ihr Kopf an seiner Schulter und sie atmete gegen seinen Hals. Seine Hände lagen locker auf dem metallenen Geflecht des Kleids, dass er scheinbar wieder ein Stück weit über ihren Schambereich gezogen hatte.
Er hielt sie im Arm. Und es war ein fantastisches Gefühl.
Anna konnte sich nicht daran erinnern, sich jem




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